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Presse
Zombie-Epidemie – Burnout und Erschöpfung werden zum Flächenbrand
KulturNews Stuttgart
30.11.2002
Unmerkliche Epidemie der Zombies: Burn-out wird zum Flächenbrand
Jürgen Spieß, Redaktionsleiter der "KulturNews Stuttgart", führte das Interview zum Burn-out [Burnout] als Zombie-Epidemie mit Diplom-Psychologe, Psychotherapeut und Karriere-Coach Dietmar Luchmann vom ABARIS Institut für kognitive Psychotherapie, Verhaltenstherapie und Coaching in Stuttgart. Das Interview wurde in den "KulturNews Stuttgart" mit dem Titel "Burn-out wird zum Flächenbrand" am 30.11.2002 erstmals veröffentlicht.
Nicht nur Ärzte und Manager brennen aus: Falsches Wertesystem begünstigt Burn-out.
Interview von Jürgen Spieß, Redaktionsleiter der Kulturnews Stuttgart,
mit Diplom-Psychologe, Psychotherapeut und Karriere-Coach Dietmar Luchmann,
ABARIS Institut für Psychotherapie, Stuttgart.
Interview
Jürgen Spieß: Wird das Burn-out-Syndrom als eigenständige Krankheit
anerkannt?
Dietmar Luchmann: Ja, im sozialrechtlichen Sinne durchaus.
Burn-out [auch: Burnout] wird in der im deutschen Gesundheitswesen verbindlichen
10. Auflage der "Internationalen Klassifikation der Erkrankungen",
kurz ICD-10 genannt, als "Ausgebranntsein" und "Zustand der
totalen Erschöpfung" mit dem Diagnoseschlüssel Z73.0 erfasst. Burn-out
ist also eine Erkrankung, deren Behandlung der Leistungspflicht der Kranken-
und Rentenversicherungsträger unterliegt. In seinen Ursachen und Erscheinungsformen
ist das Burn-out-Syndrom jedoch sehr komplex und beschränkt sich keineswegs
nur auf helfende Berufe. Die Vielfalt der Faktoren, die zum Burn-out beitragen,
und die Vielgestaltigkeit der Symptome, in denen sich Burn-out äußert, machen
es schwierig, ein Burn-out nicht nur als eigenständige Krankheit, sondern
auch rechtzeitig zu erkennen.
Welche Bedingungen, Faktoren und
Symptome sind das?
Luchmann: Wesentlicher Nährboden für die Entwicklung
von Burn-out ist lang anhaltender emotionaler und körperlicher Stress, verbunden
mit dem Mangel an entsprechender Kompensation und Erholung. Der Leistungsdruck
ist in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen,
seit den 80-er Jahren allein um ein Drittel wie Untersuchungen belegen.
Während Stress zunächst das emotionale und körperliche Engagement steigert,
ist Burn-out durch die folgende emotionale und körperliche Erschöpfung charakterisiert.
Dem Verlust von Kraft und Energie folgt der Verlust der Ideale und Hoffnung.
Ständige chronische Müdigkeit bei gleichzeitiger Schlafstörung und ein schleichender
Verfall der persönlichen Leistungsfähigkeit bei zunehmender Abneigung gegenüber
den Gedanken an Arbeit führen zum sozialen Rückzug, zur Distanzierung von
anderen Menschen und ihren Problemen bis hin zum Zynismus. Es ist also nicht
nur Mobbing und Bossing, das die Ressourcen von Betroffenen ausbluten lässt.
Viel mehr macht der echte und der vermeintliche berufliche und private Zwang
nach immer mehr und besserer Leistung auf Dauer krank. Das Empfinden, diesem
Geschehen ohnmächtig gegenüber zu stehen, verstärkt die Entwicklung der
defensiven Reaktion durch Burn-out. Die allmähliche mentale und körperliche
Erschöpfung kann mit Symptomen einhergehen wie Depression, Angst- und Panikstörung,
Pseudodemenz, Zwänge und andere psychische und körperliche Störungen. Betroffene,
die ihren desolaten Zustand eine gewisse Zeit hinter der Fassade ihrer Routine
verbergen können, laufen schließlich wie Zombies umher – müde, unflexibel,
apathisch.
Kann man sagen, dass Frauen häufiger vom Burn-out-Syndrom
betroffen sind als Männer?
Luchmann: Die Belastungen für Frauen
sind im Vergleich zu denen der Männer häufig höher. Frauen haben in derselben
Funktion im Job mehr zu leisten, um dieselbe Anerkennung zu erhalten. Frauen
haben oft die Mehrbelastung von Familie, Kinder, Haushalt und Beruf zu schultern.
Zutreffend nennt die ICD-10 deshalb "Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten
bei der Lebensbewältigung" als Ursache für den Burn-out.
Steigt die Tendenz bei Betroffenen, dass das Problem als "ausgebrannt
sein" erkannt wird?
Luchmann: Ein Burn-out ist sehr gut
vermeidbar. Eine qualifizierte Information kann also für die krankmachenden
Bedingungen sensibilisieren, die zum Burn-out führen und den Unternehmen
und der Volkswirtschaft Milliarden Euro sowie den Betroffenen die Lust am
Leben kosten. Leider wird eine frühzeitige Problemlösung von der in Deutschland
noch immer grassierenden Angst verhindert, beim Eingeständnis psychischer
Probleme das Sozialprestige zu ruinieren. Verschärft wird diese Situation
durch Vorstände und Unternehmen, die für ihre Mitarbeiter lieber irrsinnige
und den Burn-out fördernde Motivationstrainer bezahlen anstatt externe und
unabhängige Psychotherapeuten zur Förderung der Psychohygiene hinzuzuziehen.
Stimmt es, dass der persönliche Anspruch bei Betroffenen durchweg
sehr hoch ist?
Luchmann: Das individuell gelernte Streben nach
Perfektion, Kontrolle, Sicherheit und sozialer Anerkennung, das die Grenzen
des realistisch Möglichen überschreitet, ist unstreitig ein Faktor, der
das Ausbrennen fördert. Denn das Streben nach beruflichen oder persönlichen
Zielen, die in der gegebenen Realität nicht erreichbar sind, verschleudert
die Energie, ohne zur Befriedigung zu führen. Allerdings sind es nach meiner
Beobachtung mehrheitlich die gesellschaftlichen Bedingungen, die krank machen.
Eine Gesellschaft, die zum Beispiel keine ausreichende Ganztagesbetreuung
für ihre Kinder bereit zu stellen vermag, betreibt Raubbau an sich selbst.
Auch der "persönliche Anspruch", von dem man meint, jeder Betroffene
habe ihn selbst zu verantworten, ist immer zuvor im gesellschaftlichen Kontext
erworben, das heißt gelernt worden. Ein Burn-out ist somit nichts anderes
als eine individuell fehlgelaufene Lerngeschichte in einer Gesellschaft,
die den gleichgerichteten Wahnsinn lehrt, in immer kürzerer Zeit immer mehr
immer besser schaffen zu wollen. Das Ergebnis präsentieren uns die Statistiken
der Krankenversicherungen: Von Jahr zu Jahr steigt inzwischen nicht nur
der Anteil der Erwachsenen, sondern noch mehr der Anteil der Kinder und
Jugendlichen, die ernsthaft psychisch krank werden.
Halten Sie
Supervision für ein geeignetes Mittel zum Schutz von Burn-out?
Luchmann: Supervision ist nicht wirklich hilfreich, weil deren beschränkte
Möglichkeiten nicht den komplexen Erfordernissen des Problems gerecht werden.
Supervisoren sind in der Praxis oft selbst abhängig von den krankmachenden
Bedingungen, auch als externe Auftragnehmer. Häufig wird übersehen: Ein
Burn-out ist stets eine individuelle Reaktion auf eine persönliche Überforderung
vor dem Hintergrund einer individuellen Lebens- und Lerngeschichte. Deshalb
gehört die individuelle Verhütung und Behandlung von Burn-out in die Hände
von Psychotherapeuten, die diese individuellen lebens- und lerngeschichtlichen
Defizite beheben helfen können. Die Gruppenrunde mit den Arbeitskollegen
bei einem Supervisor ist hierfür denkbar ungeeignet.
Kann das
Burn-out-Syndrom Ihrer Meinung nach im Vorfeld verhindert oder gelindert
werden?
Luchmann: Natürlich, aber hierzu es bedarf eines grundsätzlichen
Wertewandels in unserer Gesellschaft. Dazu gehört, psychische und körperliche
Grenzen zu akzeptieren und nicht immer weiter zu überrennen. Ebenso ist
eine größere Aufklärung über die Zusammenhänge von inneren und äußeren Belastungsfaktoren
beim Burn-out notwendig. Eine wirksame Vorbeugung gegen Burn-out bezieht
alle Lebensbereiche ein, von der Arbeitstelle bis zur Partnerschaft.
Ist das Hilfeholen im sozialen Bereich üblicher als in der freien
Wirtschaft?
Luchmann: Nein. Die Inanspruchnahme von geeigneter
Hilfe wird durch den Wettbewerb und die Furcht vor der Offenbarung persönlicher
Schwäche behindert. Der Wettbewerbsdruck ist heute in den sozialen Arbeitsbereichen
nicht geringer als in der freien Wirtschaft. In welchem Umfang qualifizierte
Hilfe in Anspruch genommen wird, hängt ganz wesentlich von dem Problembewusstsein
des Einzelnen und seiner Bereitschaft ab, für sich selbst Verantwortung
zu übernehmen.
Leserbrief zum Beitrag "Burn-out wird zum Flächenbrand"
13.03.2003
Burnout – Ein Wertewandel ist dringend notwendig
Herr Dietmar Luchmann spricht mir aus der Seele. Ich arbeite seit etwas
mehr als zwei Jahren im mittleren Management in der IT-Branche, bin mit
einem Freudestrahlen und überschwänglichem Enthusiasmus gestartet. Ich merkte
gar nicht, wie die Arbeit mehr und mehr auffraß. Auch nachts und am Wochenende
hockte ich noch am Rechner, musste noch Mails aus den USA, aus Japan oder
weiß Gott woher abfangen - und fühlte mich großartig dabei! Zwar wunderte
ich mich, warum meine Migräne immer erbarmungsloser zuschlug, warum ich
mir irgendwann kaum mehr etwas merken konnte, ich aus kleinstem Anlass in
die Luft ging, aber noch dachte ich mir nichts dabei. Dann fingen Stimmungsschwankungen
an. An einem Tag war alles klasse, am nächsten war ich am Boden zerstört.
Mein Nacken wurde zu einem einzigen Krampf, so dass ich oft meinen Kopf
kaum mehr bewegen konnte und kann.
Wenn ich mich heute (ich bin 30
Jahre) aufrege, bekomme ich Herzschmerzen und mir wird schwindelig. Oft
fühle ich mich so überrollt von kleinsten Dingen, die mich früher nicht
so aus dem Gleichgewicht bringen konnte, dass ich am liebsten nur schreiend
davon laufen würde. Alles ist mir zuviel. Was den Menschen in unserer "modernen
Welt" abverlangt wird, ist längst schon unmenschlich geworden. Wir
müssen mit Maschinen konkurrieren, werden selbst zu solchen. Für Feinheiten,
Untertöne bleibt keine Zeit. Wir nehmen einander längst schon nicht mehr
wahr, und wenn, dann schließen wir ganz schnell die Augen davor. Schließlich
wollen wir uns nicht dem Vorwurf der "Ineffizienz" und "Unprofessionalität"
aussetzen. Man fragt sich, wozu das alles.
Die IT-Branche hat mich
vor Jahren fasziniert. Heute halte ich sie für ein dekadentes Horrorkabinett
aus Inkompetenz und blindem Aktionismus. Alles läuft nur dem schnellen Dollar
hinterher und verkennt dabei völlig, dass der Preis dafür höher ist als
sich mit Aktien gewinnen lässt. [...]
Ingeborg Names*, Projekt-Managerin
Wesel am Niederrhein
* Name aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes
geändert.
Veröffentlicht am 30.11.2002.
Text aus:
KulturNews
Stuttgart, 30.11.2002. Spieß, Jürgen: Unmerkliche Epidemie der
Zombies: Burn-out wird zum Flächenbrand. [Interview mit Psychotherapeut
Dietmar Luchmann.]
Vers. 2002.11.30: Zombie-Epidemie – Burnout und Erschöpfung als Flächenbrand