ABARIS Angstambulanz ℠
Psychotherapie
Psychotherapie-Kliniken als teure Illusion bei Angst- und Panikstörungen, Teil 2
PSYCHOTHERAPIE
31.12.2001
Psychotherapie-Kliniken als teure Illusion: Verhaltenstherapie an der Christoph-Dornier-Klinik für Psychotherapie Münster (2)
Schein und Wirklichkeit in der
Verhaltenstherapie von Angst und Panik
Psychotherapie mit der
Christoph-Dornier-Stiftung in Marburg — ein Erfahrungsbericht
Von Helmut Mayer*
Dieser dreiteilige
Artikel über die Psychotherapie (Verhaltenstherapie) von Angst- und
Panikstörungen sowie Phobien mit der Methode der Reizkonfrontation
(englisch: Flooding) als Konfrontationstherapie einschliesslich der
Kommentare einer Fachärztin für Neurologie und ärztlichen
Psychotherapeutin für kognitive Verhaltenstherapie wurde in der
Zeitschrift "PSYCHOTHERAPIE" am 31.12.2001 erstmals
veröffentlicht.
Mit seinen illustrativen Beispielen ist er als
Ergänzung zu unserer Erläuterung über die Rolle von
Fortsetzung von
Ich will hier versuchen, mein Problem
mit der Angststörung zu erläutern. Es begann 1982, es war August und
sehr heiß. Ich befuhr mit meinem Wagen eine Zubringerstraße Richtung
Arbeitsstelle. Vor mir ein Stau, es ging nicht mehr weiter und dann
diese Hitze. Urplötzlich kam so etwas Komisches in mir hoch, ein Gefühl
von Angst, Beklemmung und Panik.
Ich dachte: Jetzt ist es aus.
Und ich wollte natürlich so schnell aus dieser für mich so
lebensbedrohlichen Situation entfliehen, was sich auch realisieren ließ,
denn der Stau löste sich auf und ich konnte mit Vollgas in Richtung
Arbeitsstelle entkommen. Die Panik hatte mich während dieser Fahrt immer
noch im Griff, sie ließ nach, als ich am Ziel angekommen war. Hab dann
allerdings noch eine ganze Weile gebraucht um zu mir selber wieder
zurück zu finden.
Habe es leider versäumt, mein Erlebnis irgend
jemanden anzuvertrauen. Ich dachte, das war sicher nur einmalig und so
was kommt bestimmt nicht wieder. Und als Mann, auch mit meinen erst 22
Jahren, darf man so was nicht haben, man muss doch stark sein.
Kommentar
Carmen Heerdegen, Fachärztin für Neurologie und
Psychotherapeutin, Stuttgart:
Geschildert wird der typische Beginn einer Angst- und Panik-Störung. Als Stressfolge tritt erstmals ein Panikanfall auf. Der wahrgenommene Kontrollverlust führt zur Furcht, das Geschehen könne sich wiederholen. Würde jetzt ein guter Psychotherapeut konsultiert, wäre die 19-jährige Leidensgeschichte mit ein bis drei Therapiestunden im Keim erstickt worden.
So gingen dann die Tage, Wochen und Monate vorüber. Ich musste
beruflich auch öfter LKW fahren, was nicht gerade einfach war, seit
diesem schrecklichen Erlebnis. Ich dachte immer wieder an diese
Situation, aber irgendwie habe ich das alles auf die Reihe gekriegt.
Muss jetzt aber auch mal erwähnen, dass ich zu dieser Zeit einen nicht
gerade gesunden Lebenswandel hatte, viel Arbeit, Stress. Fast jeden Tag
Alkohol und Nikotin. Auch an diesem besagten Tag, es war um die
Mittagszeit, hatte ich auf unserer Zweigstelle schon Bier getrunken.
Heute sehe ich das mit ganz anderen Augen, dass ich eine solche
körperliche Reaktion hatte.
Dann kam nach drei Jahren eine
einjährige Arbeitslosigkeit auf mich zu. Hatte da schon Probleme, mich
arbeitslos zu melden, musste dazu ja in die Kreisstadt. Es war ein
Gefühl der Beklemmung als ich beim Arbeitsamt vorsprechen musste, habe
es aber trotzdem irgendwie hinbekommen.
Ich bin in dieser Zeit
nur noch weggefahren, wenn ich mindestens fünf oder sechs Flaschen Bier
getrunken hatte, anders ging es gar nicht. Hatte einfach Angst meine
gewohnte Umgebung zu verlassen, wo ich mich immer mehr hin zurück zog.
Dann erhielt ich überraschenderweise ein Angebot meines alten Chefs, die
Zweigstelle, wo ich früher schon des Öfteren aushalf, zu übernehmen. War
natürlich ein tolles Gefühl. Waren ca. 12 Km zu fahren für eine Strecke.
Hat auch ganz gut funktioniert - die erste Zeit. Auf der Arbeit hab ich
mich dann immer wohler gefühlt. Hatte viel mit Kunden zu tun und es
machte Spaß. Wenn da nicht diese Fahrt von meiner Arbeitsstelle nach
Hause oder umgekehrt gewesen wäre. Diese Fahrt, die für mich immer
schwieriger wurde.
Was ich tat: ich trank wieder Bier, um nach
Hause zu kommen. Dann ging es einigermaßen. Morgens zur Arbeit hin hatte
ich nicht so viel Probleme. Und dann kamen auch immer mehr Tage, wo mich
einfach der Mut verließ, überhaupt zur Arbeit zu fahren. Es gab immer
mehr Fehltage. Und eines Tages musste es ja soweit kommen, das ich die
Kündigung erhielt. Irgendwie war ich sogar erleichtert, nicht mehr jeden
Tag die Strapazen auf mich nehmen zu müssen.
Ich zog mich immer
mehr zurück und erzählte immer noch niemanden von meinen Problemen. Habe
mich auch gar nicht erst arbeitslos gemeldet. Ich hätte mich ja wieder
in die Stadt bemühen und vielleicht auch noch eine neue Arbeitsstelle
antreten müssen. Das habe ich damit alles übergangen.
Musste auch
kurz nach meiner Entlassung zu einer Wehrübung, was natürlich eine
Horrorvorstellung für mich war. Bis fast nach Flensburg, wo ich ja schon
mal war, sollte meine Reise gehen. Nach vielem hin und her und
Streitereien mit meinen Eltern bin ich doch los. Ein Freund von mir hat
sich bereit erklärt, mich mit seinem Wagen dort hin zu fahren. Natürlich
musste ich mich wieder mit Bier betäuben, aber es ging.
Die Jahre
zogen ins Land, und ich lebte in meiner kleinen Welt. War ja auch gar
nicht so schlecht. Hatte immer zu essen, Freunde besuchten mich, und hin
und wieder hab ich mir ein paar Mark zuhause dazu verdient, indem ich
Autos reparierte, was ich mal gelernt habe, oder meinem Nachbarn am Haus
behilflich war. Ich habe mich mit meiner Krankheit und der Situation
arrangiert.
Es war natürlich nicht immer leicht für mich, immer
wieder Ausreden zu erfinden, wenn ich mal um einen Gefallen gebeten
wurde, wo ich meine gewohnte Umgebung hätte verlassen müssen. Keiner
wusste genau, was mit mir los war, noch nicht einmal ich.
Ich
hatte auch immer Ablenkung genug in Form von Gartenarbeit, Brennholz zu
machen oder meine Tiere. Es hat natürlich auch seine Vor- und Nachteile,
wenn man wie ich ziemlich außerhalb, ja fast im Wald wohnt. Mit den
Jahren hatte ich mich wirklich an die Situation gewöhnt, nicht mehr weg
zu fahren, Freunde oder Geschwister zu besuchen usw. Aber irgendwie
fehlte mir doch etwas. Ich fühlte mich einfach ausgestoßen von der
Gesellschaft.
Irgendwann hören die Mitmenschen auch auf zu fragen. Sie denken, der
will es ja nicht anders, er möchte ja so leben. Zum Teil haben sie ja
auch recht. Man hat kaum Verantwortung und kann fast alles tun, wozu man
Lust hat.
Im Oktober traf ich durch einen Zufall, oder es war
Schicksal, meine Freundin. Die auch kurz darauf zu mir zog. Und ich
hatte das Gefühl, doch noch gebraucht zu werden. Es war eine sehr schöne
Zeit für mich. Ich konnte tagsüber meiner Arbeit rund ums Haus nachgehen
und wusste, dass abends meine Freundin nach der Arbeit bei mir ist.
Endlich hatte ich mal jemanden gefunden, dem ich meine Probleme erzählen
konnte. Und mir ging es schon viel besser. Ab und zu musste ich mich
doch aufraffen, mit ihr wegzufahren, auch wenn es nur zu ihren Eltern
war, die ca. vier Kilometer von uns entfernt wohnten. Das ging dann aber
auch wieder nur, wenn ich vorher Alkohol zu mir genommen habe.
Ich habe dann auch einmal kurz vor dem Haus ihrer Eltern trotz Alkohol
einen Panikanfall bekommen, der mich ganz schön aus der Bahn geworfen
hat. Von dem Augenblick an habe ich mir vorgenommen, keinen Alkohol mehr
zu mir zu nehmen, wenn ich irgendwo hin wollte. Das hat aber dann dazu
geführt, dass ich mit meiner Freundin gar nichts mehr in dieser Art
unternehmen konnte. Wir gingen zwar in meiner gewohnten Umgebung
spazieren, das war aber auch alles. Keine Besuche bei Freunden, nicht in
ein Lokal oder in eine Disco gehen, nicht essen gehen usw., was andere
Paare selbstverständlich wahrnehmen. Sie hatte großes Verständnis für
mich. So blieben wir einfach zu Hause. Sie versuchte auch immer wieder
mich auf zu bauen und mir Mut zuzusprechen. Es gelang ihr trotz aller
Bemühungen nicht, mich aus meinem Gefängnis zu befreien.
Ich
wollte ja was ändern, aber wie? Ich sah irgendwie keinen Ausweg aus
meinem Teufelskreis.
Da sah ich im TV einen Bericht von der
Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie in Marburg (CDS).
Von da an wusste ich, dass es noch viele Menschen, ja sogar Männer gibt,
die das gleiche Problem haben und denen geholfen werden kann.
Kommentar
Carmen Heerdegen, Fachärztin für Neurologie und
Psychotherapeutin, Stuttgart:
Betroffene erfahren überwiegend erst durch Beiträge in den Medien oder über Bücher, dass sie an einer gewöhnlichen Angststörung leiden, die sehr gut behandelbar ist. Dies ist die beklagenswerte und typische Versorgungsrealität. Hausärzte sind bei psychischen Störungen oft inkompetent und verschleppen mit überflüssigen Untersuchungen und Tabletten die erforderliche Psychotherapie.
Und von diesem Moment an habe ich beschlossen, endlich mal was gegen
mein Angstproblem zu tun. Ich habe mich telefonisch mit der CDS in
Marburg in Verbindung gesetzt. Bei einem Gespräch mit einem dort
angestellten Psychotherapeuten habe ich dann erfahren, dass man auch mir
helfen könne, auch wenn meine Angststörungen schon so lange bestünden.
Das gab mir Mut und Hoffnung und es kam auch wieder mehr Lebensfreude
auf: All die Dinge zu tun, die ich früher auch getan habe, vor allen
Dingen mit meiner Freundin zusammen. Das war schon ein tolles Gefühl.
Ich wusste zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nicht, was alles auf mich zu
kommen würde.
Da war jetzt aber eine große Hürde vor mir, die
mich natürlich wieder entmutigte. Wer bezahlt so eine Therapie? Da ich
ja weder arbeitslos gemeldet noch krankenversichert war, habe mich an
meine zuständige Landesversicherungsanstalt (LVA) in Speyer gewendet,
die nach etlichen Briefen hin und her und natürlich vielen Monaten Zeit
zu der Erkenntnis gekommen ist, mich in eine psychosomatische Fachklinik
im Saarland zu überweisen.
Dieses Angebot konnte ich ja gar nicht
wahrnehmen, da ich meinen selbst gesteckten Umkreis von ca. 500 Meter
nicht verlassen konnte. Doch dafür fehlte den Sachbeamten natürlich
jedes Verständnis: Nein, von so einer Krankheit hatten sie noch nie
gehört. Das war schon seltsam für mich.
Eine Therapie, wie sie
die Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie in Marburg
durchführt, würde von der LVA nicht anerkannt, und somit war eine
Kostenübernahme ihrerseits natürlich nicht gegeben. Alle meine
Hoffnungen, wieder ein gesunder Mensch zu werden, wurden mir dadurch
wieder genommen.
Dann habe ich mit Hilfe meiner Freundin Kontakt
zu einer Sozialarbeiterin in unserem Kreisgebiet aufgenommen. Sie ist
dann auch zu mir gekommen und wir führten ein langes Gespräch. Sie
konnte mir auch nicht viel Hoffnung auf eine Kostenübernahme durch einen
Träger machen. Sie wolle es aber versuchen, sagte sie. Und so kam es,
das sie den für unser Kreisgebiet zuständigen Amtsarzt davon überzeugen
konnte, mich zu besuchen. Was dann auch in kurzer Zeit geschah. Der
Amtsarzt hat es dann geschafft, das Kreissozialamt zu überzeugen, mir
eine Psychotherapie zu finanzieren.
Da fiel mir natürlich ein Stein vom Herzen: endlich konnte es los
gehen. Als dann auch diese Hürde überwunden war, musste ich noch einige
Monate warten, bis die CDS einen Termin frei hatte für meine Therapie.
Im September letzten Jahres war es dann so weit, und eine
Psychotherapeutin aus Marburg kam zu einem Erstgespräch zu mir. Sie hat
mir dann in einer Stunde so weit zu vermitteln versucht, was auf mich zu
kommen würde, und natürlich hat sie sich vorher ein Bild über meine
Krankheit gemacht.
Drei Wochen später sollte es dann los gehen. Wir haben uns bei mir
noch mal zusammen gesetzt und alles in Ruhe besprochen. Genaueres wusste
ich auch zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht. Ich hatte immer so viele
Fragen, die ich stellen wollte, aber sie wurden mir nicht so richtig
beantwortet. Ich dachte: Diese Leute sind ausgebildet und wissen schon,
was richtig ist. Ich hätte auch gerne von ihr gewusst, wo diese
Angststörungen überhaupt her kommen könnten. Mir wurde nur gesagt, dass
diese Ängste jetzt da sind und man sollte nicht in der Vergangenheit rum
wühlen, was letztendlich doch keine konkreten Lösungen bringen würde.
Man hat diese Angst und die kann man nur in den Griff bekommen, wenn man
sie wieder durchlebt, also in die Angst auslösenden Situationen rein
geht. Ich habe ihr dann aufschreiben müssen, welche Situationen ich mir
ganz schlimm vorstellen könnte.
Kommentar
Carmen Heerdegen, Fachärztin für Neurologie und
Psychotherapeutin, Stuttgart:
Es gilt als psychotherapeutischer Kunstfehler, mit einem Patienten ohne eine ausreichende kognitive Vorbereitung Reizkonfrontation zu machen. Die Schilderung zeigt, dass die Diplom-Psychologin der Christoph-Dornier-Stiftung dem sehr motivierten Patienten die für das unabdingbare Verständnis wichtigen Fragen "nicht so richtig beantwortet" hat. Qualifizierte kognitive Vorbereitung befähigt die Betroffenen in der absoluten Mehrzahl aller Fälle, ihre Problemsituationen erfolgreich allein zu bewältigen. Dramatische Schilderungen wie in diesem Fall illustrieren nur unnötiges Leid durch unsachgemäße Praktiken.
Nun ging es am nächsten Morgen an die Praxis. Wir spazierten auf
meinen Wunsch hin einfach mal drauf los. Als ich dann über meine Grenze
hinaus war, wurde mir schon ganz mulmig im Magen. Das habe ich ihr auch
gesagt, was ja richtig war.
Sie sagte: Wir gehen weiter. Und als
wir dann so ca. 500 oder 600 Meter von zu Hause weg waren und ich nicht
mehr schnell genug aus dieser Situation hätte fliehen können, da kam die
Angstspirale in sehr großen Schritten auf mich zu. Alles kam hoch.
Zuerst das Gefühl, was machst du hier, du bist doch gar nicht mehr in
deinem Sicherheitsbereich, hier kannst du gar nicht so schnell wieder
raus. Ich dachte, mein letztes Stündlein hätte geschlagen.
Ich
weinte, war verzweifelt und sah diese Psychotherapeutin an, die aber zu
meiner Verwunderung ganz ruhig da stand und auf meine Reaktionen
wartete, wie mir schien. Es waren aber nur zwei oder drei Minuten und
dann ging es so langsam wieder mit mir. Ich musste um mich schauen. Wir
waren ja mitten auf einer freien Feldlandschaft. Ich sollte mir auch
immer vorstellen, jetzt fällst du um und so, also immer das Schlimmste.
War schon sehr komisch für mich.
Dann sind wir weiter gegangen.
Ich war zwar wie benebelt, aber es ging irgendwie. Ich dachte, da musst
du durch. Es wird schon richtig sein, was sie mit dir hier macht, das
gehört dazu. Ich dachte auch, wenn du hier wieder raus kommen solltest,
was ich mir zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht vorstellen konnte,
kannst du das heute Abend mit vollem Stolz deiner Freundin erzählen. Und
das hat mir Kraft gegeben.
Wir sind dann weiter gegangen, bis
fast zum nächsten Ort. Da stand ein Birnbaum und ich dachte, hole dir
einen Stock und werfe ein paar Birnen herunter, was ich auch mit Freude
tat. Vielleicht wollte ich auch ein wenig Ablenkung. So denke ich heute
darüber. Wir sind dann weiter marschiert, es begann so langsam sogar
etwas Spaß zu machen, die Strecke selber zu gehen, die man schon seit
Jahren gemieden hat und früher fast täglich gefahren ist. Ich konnte ja
auch nichts anderes tun in diesem Moment, wäre auch lieber zu Hause
gewesen.
Mit diesen ersten Eindrücken haben wir nach einer
Mittagspause eine andere Strecke gewählt, die ich noch sehr viel mehr
gemieden habe. Weil da ständig Autos und Spaziergänger zu einer im Wald
gelegenen Gastwirtschaft pendelten. Hatte mal wieder Angst vor der
Angst. Ich merkte aber zu meinem Erstaunen, dass die ganz große Angst
einfach ausblieb, es war schon merkwürdig. Es war zwar ein komisches
Gefühl, aber es ging. Es kam ja auch das Ungewohnte dazu, es hatte sich
soviel verändert in den letzten Jahren. Wir sind so ca. drei Kilometer
durch den Wald gelaufen, die ganzen neuen Eindrücke waren schon
irgendwie faszinierend.
Dann musste ich auch ein ganzes Stück alleine gehen, was ich zu
meiner Verwunderung auch schaffte. An diesem Abend fühlte ich mich wie
neu geboren. Ich hätte Bäume ausreißen können, so gut fühlte ich mich.
Am nächsten Morgen hoffte ich, dass wir wieder die gleiche oder
zumindest eine ähnliche Strecke laufen würden. Es regnete, und die
Psychotherapeutin beschloss, dass wir mit dem Auto fahren werden, was
natürlich einen Angstschauer in mir auslöste. Aber zu meinem Erstaunen
ging es relativ gut. Es war zwar wieder dieses komische Gefühl da, weil
diese Situation auch in meinen Vorstellungen ein Horrortrip hätte sein
müssen.
Wir sind, also ich als Beifahrer, die einzelnen Dörfer in
meiner Gegend angefahren. In den Orten selbst sind wir dann einzelne
Straßen abgefahren und ich konnte auch Leute beobachten, was wieder sehr
ungewohnt für mich war. In der nächsten kleineren Stadt, die ca. acht Km
von mir entfernt liegt, sind wir vor die einzelnen Einkaufszentren
gefahren und haben dort geparkt und den Menschen zugesehen, die da ein-
und ausgegangen sind. Es war wieder sehr merkwürdig, und ich hätte auch
nicht aussteigen können, dachte ich zu diesem Zeitpunkt jedenfalls, was
ich auch nicht musste.
Wir sind dann noch auf meinen Wunsch hin
in das Industriegebiet gefahren. Ich konnte wieder sehr viele Eindrücke
sammeln, weil sich auch da, wie in der Stadt, in den letzten Jahren sehr
viel verändert hat.
Ich machte ihr dann den Vorschlag, ob wir
noch in einen Ort weiter fahren könnten, weil dort schon seit vier
Jahren mein Bruder wohnt, den ich noch nie besuchen konnte. Das haben
wir dann auch getan. Ich bin dann alleine ausgestiegen und zu ihm in die
Wohnung gegangen. Nachdem ich so etwa 15 Minuten bei ihm war, sind wir
wieder zu mir nach Hause gefahren.
In der knappen Mittagspause von einer Stunde habe ich gar nicht
alles realisieren können, was da an neuen Eindrücken auf mich zukam.
Nach meiner heutigen Erkenntnis wäre es für mich besser gewesen, zu
diesem Zeitpunkt die Therapie für den Tag zu unterbrechen und meine
gewonnenen Erfahrungen zu verarbeiten. Es war, wie gesagt, aber nur
meine Meinung, denn nach der Pause sind wir auf die Autobahn gefahren,
auch da war wieder dieses komische Gefühl, es ging aber diesmal. Die
ganz große Angst blieb auch dieses Mal aus. Klar, sie war da, aber doch
nicht so stark wie ich es mir ausgemalt habe. Wir hielten die ganze Zeit
Zwiegespräche wie bis dahin immer. Sie fragte mich nach meinen Gedanken
und Gefühlen. Ich konnte alles nur so wiedergeben, wie ich es zu diesem
Zeitpunkt empfand.
Als wir dann so 50 Km gefahren waren, sind wir
in Richtung Koblenz eingebogen. Mir wurde natürlich ganz anders, als ich
diese vielen Autos sah, die an uns vorbei fuhren oder uns entgegen kamen
- und ich mitten drin. Es war ein Gefühl der Beklemmung in mir, aber was
sollte ich tun: fliehen konnte ich ja nicht. Anschließend sind wir durch
die ganze Stadt, und Koblenz ist eine hektische Stadt, gefahren. Die
vielen Menschen, es war schon sehr sehr komisch, dies alles zu erleben.
Auch in Koblenz ist ein riesiges Gewerbegebiet, was wir dann auch noch
durchquert haben. Es waren sehr viele neue Eindrücke, die ganzen
Geschäfte und Firmen, die man nur aus Werbeprospekten und vom Hören
kannte, jetzt live zu sehen.
Dann sind wir noch in die nächste Stadt gefahren und ich muss sagen,
mir war zu diesem Zeitpunkt schon fast alles egal, ich habe es einfach
über mich ergehen lassen. Es war alles zu viel, was ich in dieser kurzen
Zeit erlebt habe. Von da aus sind wir dann über Land nach Hause
gefahren, was auch noch einmal ca. zwei Stunden gedauert hat.
Ich
war an diesem Abend so fertig mit meinen Nerven und hatte einfach keine
Kraft mehr. Bin abends mit 180 eingeschlafen und auch mit dem selben
Tempo wieder aufgewacht, um es mit meinen Worten zu beschreiben. Es war
einfach zu viel an diesem Tag. Und meiner Meinung nach hätte die
Psychotherapeutin dies auch wissen müssen. Ich hatte einfach keine Kraft
mehr, und habe ihr auch am nächsten morgen gesagt, dass ich nicht mehr
könnte und die Therapie beenden möchte.
Was wir damit auch taten. Ich bin in den nächsten Tagen noch mit ihr
in telefonischem Kontakt geblieben. Weil ich alleine weiter machen
wollte, denn das Vertrauen zu dieser Dame war weg!
Kommentar
Carmen Heerdegen, Fachärztin für Neurologie und
Psychotherapeutin, Stuttgart:
Vertrauensverlust und Misserfolg waren das absehbare Ergebnis einer Konfrontationsbehandlung, die den Patienten nur ausführte, ihm aber seine Denkfehler und die psycho-physiologischen Zusammenhänge mit seiner Angststörung nicht verständlich machte. Deshalb konnte er weder bei der Übung mit noch ohne Psychotherapeutin einen Erfolg erreichen — und kapitulierte.
Meine Freundin und ich haben auch eine Autofahrt zum nächsten Dorf
unternommen, was mir sehr gut gelungen ist. Einen großen Spaziergang
haben wir ebenso gemacht, was bis auf die immer anfänglichen
Schwierigkeiten ebenfalls gut gelungen ist. Danach wollte ich auch
keinen Kontakt mehr zu dieser Psychotherapeutin aufnehmen.
*Name
aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert.
Wir danken dem Autor für den Mut und die Mühe, diese Dokumentation zu
verfassen, "um anderen Patienten mit Angststörungen behilflich zu sein".
Lesen Sie im
Angsttherapie mit Reizkonfrontation, Exposition und Flooding — Teil 1
Angsttherapie mit Reizkonfrontation, Exposition und Flooding — Teil 2
Angsttherapie mit Reizkonfrontation, Exposition und Flooding — Teil 3
Vers. 2001.12.31: Psychotherapie-Kliniken als teure Illusion bei Angst- und Panik, Teil 2